Estland Roadtrip: Schönste Städte & Naturparks für die Rundreise
Wer in Estland einen Roadtrip plant, sollte auf Ruhe stehen. Nur etwas mehr als eine Million Einwohner hat der kleinste Staat des Baltikums.
Und dann wäre da die Mentalität der Esten. Eine Einheimische scherzte zu Corona-Zeiten mir gegenüber, dass die Esten nach den 2-Meter-Sicherheitsabstand während der Pandemie gern wieder auf die gewohnten fünf Meter zurückkehren würden.
Wusstest Du, dass Estland eine Menge mit meiner Heimat verbindet? Nicht nur in der DDR wurde heimlich West-Fernsehen geguckt, die Menschen in Tallinn richteten ihre Empfänger in Richtung Finnland aus. Dies ist bis heute der Grund, warum viele Esten der finnischen Sprache mächtig sind.
Der nachfolgende Estland-Roadtrip kann natürlich auch in entgegengesetzte Richtung angepeilt oder an einem beliebigen anderen Ort gestartet werden. Ich wähle Tallinn als Startpunkt und mache mich mit dir auf den Weg durch das nördliche Baltikum.
Tallinn – die Pulsader des Landes
Die Namensgebung ist durchaus kurios, denn übersetzt steht Tallinn für „dänische Stadt“. Der Name stammt aus dem 13. Jahrhundert, als Tallinn von den Dänen regiert wurde. Es folgten Deutschland, Russland und Schweden.
Es würde die Länge des Artikels sprengen, alles Wissenswerte zu Tallinn nochmals aufzulisten. Aus diesem Grund möchte ich Dich auf meinen Artikel zum Tallinn-Städtetrip aufmerksam machen.
So klein Tallinn unter den Hauptstädten Europas sein mag, im Vergleich zum Rest des Landes steppt der Bär. Dieses Gefühl bleibt, egal in welche Richtung der Estland Roadtrip weitergeht. Optional steht eine Fahrt an der Küste entlang bis zur russischen Grenzstadt Narva zur Auswahl, doch wir bewegen uns direkt ins Landesinnere.
Der erste kleine Zwischenstopp findet in der tiefsten Provinz statt.
Paide – Kleine Geschichtsstunde in der Festung Wittenstein
Paide im Landkreis Järva ist ein verschlafenes Städtchen. Keine 10.000 Einwohner finden dort ihr Zuhause und fast jede Familie hat ein eigenes Haus an der Straße stehen. Dennoch gibt es gleich zwei Gründe, um einen kurzen Zwischenstopp in Weißenstein – wie der Ort in deutscher Sprache heißt – einzulegen.
Das Highlight in Paide ist der Wallturm, dessen stolze Höhe von 30 Metern aufgrund des massiven Umfangs noch mächtiger wirkt. Von Außen ist der sanierte Teil der einst im 13. Jahrhundert aus Kalkstein errichteten Burg umgeben von Ruinenmauern und vielen Blumen ein beliebtes Fotomotiv.
Im Inneren wird die estnische Geschichte bis hin zur Besetzung durch die Russen skizziert. Jene sind auch für die Zerstörung der Festung verantwortlich. Beim Rückzug vor den deutschen Truppen im 2. Weltkrieg wollte man die Burg nicht dem Kriegsgegner überlassen.
Kirmesauftritt im Fußballstadion
Ruhe und Entspannung liefert der unweit entfernte See, welcher den Einheimischen als Badeort dient. Ein wenig abenteuerlicher ist der Besuch eines Fußballspiels. Ein Erstligist kickt in der Stadt. Mit mehr als 400 Zuschauern ist selten zu rechnen und doch verkommen die Heimspiele zum gefühlten Kirmes-Auftritt. Kostenloser Kuchen, zahlreiche alternative Speiseangebote und der Zusammenhalt des gesamten Dorfes sind eher die Regel denn eine Ausnahme.
Noch nicht genug vom estnischen Fußball? Dann schau mal hinter dem Link vorbei!
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Tartu – 5 Tipps für die Kulturhauptstadt Estlands
Liebe Esten, wann hört ihr denn auf damit, inflationär eine Hauptstadt nach der anderen aus dem Hut zu zaubern? Neben der echten Krone des Landes Tallinn und der Sommerhauptstadt Pärnu nah der lettischen Grenzen erklärt sich Tartu noch zur Kulturhauptstadt.
Falsch ist diese Einschätzung keineswegs. Wer in Estlands Historie tief eintauchen möchte, der bekommt dazu in der Studentenstadt die Möglichkeit. Rund 90.000 Einwohner leben in Tartu. Die Zahl schwankt aufgrund der Universität regelmäßig. Auch einige Deutsche schreiben sich für Gastsemester ein. Und dies unwissend darüber, dass man einer Legende nach nicht leicht als echter Studierender im Südosten Estlands gilt.
Hier kommen zu Tartu meine besten Tipps – darunter eine Mutprobe für junge Erwachsene und die Legende vom „Küssenden Pärchen“.
Die Küssenden Studenten als Wahrzeichen von Tartu
Direkt vor dem Alten Rathaus begann die Leidenschaft – zumindest der Legende nach. Einen Regenschirm spannte ein holder Gentleman bei aufkommenden Regen auf und lud seine Begleitung unter das Schirmdach ein.
Dort nutzte er die Gunst der Stunde und küsste die Dame. Als diese sich träumend wünschte, dass dieser Moment nie enden möge, fuhr der Legende nach ein Blitz in beide und ließ sie zu Stein erstarren.
Realistischer – wenngleich weitaus unromantischer – ist wohl, dass 1998 ein Bildhauer die Skultur anfertigte. Sei es drum, bis heute plätschert das Wasser in Form eines Springbrunnens vom Regenschirm des glücklichen Paares.
Die Domruine in Tartu
Die imposante Größe macht die Domkirche in Tartu zu einem der Wahrzeichen. Vermutlich ist der Dom in heutigen Form fast noch interessanter als andere großen Kirchen, denn in Tartu befindet sich nur noch eine gut erhaltene Ruine.
Nicht selten kommen Photographen und Abenteurer mit Drohnen zur Domkirche, denn aufgrund des größtenteils fehlenden Daches lassen sich interessante Aufnahmen aus der Vogelperspektive machen. Am Boden spaziere ich durch die hohen Ziegelmauern, während das Licht einfällt.
Über Jahre hinweg verfiel das heute etwa 700 Jahre alte Gebäude, welches phasenweise sogar als Schießplattform für Kanonen bereitstand. Gerade aufgrund des Zerfalls gilt die Domkirche in Tartu als Tipp für Reisende.
Mutprobe für Studenten – die Bogenbrücke Kaarsild als Tartu Tipp
Nur wenige Blicke zieht die Brücke Kaarsild an, auch wenn jene auf einer Achse mit dem Alten Rathaus sowie dem küssenden Pärchen liegt. Dies gilt aber nur so lange, bis man nicht um die Mutprobe der Studenten weiß. In Universitätskreisen wird bis heute verbreitet, dass man sich in Tartu nur dann wirklich Student nennen kann, wenn man die Brücke über den mittig gelegenen Bogen überquerte.
Jener ist schätzungsweise 80 Zentimeter breit und erstreckt sich auf vielleicht sieben bis acht Meter Höhe. Dass die Mutprobe für Tartus Studenten kein wildes Gerücht ist, wurde mir gleich doppelt bestätigt. Ein phasenweise in Viljandi lebender Freund hat den Bogen erklommen, die einzige mir bekannte ehemalige Tartuer Studentin sich hingegen nicht getraut.
Neben dem Nervenkitzel liegt eines der größten Probleme der Mutprobe darin, ohne Hilfe anderer überhaupt den Bogen zu erklimmen. Es halten sich hartnäckig die Gerüchte, dass während meines Aufenthalts in Tartu ein weiteres Studentenabzeichen vergeben wurde.
Das umgedrehte Haus
Kreativ sind die Esten, den Geschäftssinn habe ich ihnen aber anfänglich abgesprochen. Asche über mein Haupt, die Idee ist großartig und eine architektonische Meisterleistung. Rund 2,5 Kilometer abseits der Innenstadt Tartus wurde ein Haus entworfen, welches buchstäblich auf dem Kopf steht. Obwohl man über eine Treppe ganz gewöhnlich eintreten kann, erscheint jedes noch so kleine Detail verdreht.
Leider hatte das Haus damals geschlossen, denn die Bilder von Außen machen Lust auf mehr. Insgesamt 7,50€ Eintritt werden für das „Museum“ verlangt. Der Rundgang benötigt circa 30 Minuten. Kann man einen Eintrittskarte von meinem fünften Tartu-Tipp vorweisen, dann werden am Eingang nur noch sechs Euro fällig.
Estlands Nationalmuseum
Ich gebe es ja zu, der Titel Kulturhauptstadt gehört nach Tartu. Dafür sorgen nicht nur Dom und die bekannte Universität, sondern in erster Linie des estnische Nationalmuseum (Eesti Rahva Muuseum).
Das erst 2016 eröffnete Museum ist nichts für einen kurzen Besuch und ein großes Interesse an der Kultur des Landes und der Geschichte der Esten verpflichtend. Für 14 Euro Eintritt gibt es die geballte Ladung Wissen zum Reiseland.
Meine Bucket List für Reiseziele, Wünsche & Erinnerungen
Tagesausflug zum Lake Peipus?
Selbstverständlich hat Tartu weit mehr Sehenswürdigkeiten als die oben erwähnten Highlights. Ein Spaziergang durch die Altstadt oder durch die Parks am Emajõgi (sowie den Park am Dom) werden viele schönen Ecken ins Auge springen lassen.
Wer möchte, kann nach den umgesetzten Tartu Tipps einen Tagesausflug an den Lake Peipus unternehmen, durch den ein großer Teil der Grenze zwischen Russland und Estland verläuft. Die Größe übersteigt jene des Bodensees um ein Vielfaches.
Viljandi – die perfekte Kleinstadt
„Manch einer reist echt über 1000 Kilometer, um sich Viljandi anzusehen!“ Diese Worte standen in der WhatsApp eines Freundes, der fast ein Jahr in der estnischen Kleinstadt lebte. Zugegeben, ein wenig spielte dieser Fakt in die Karten, warum ich Viljandi in meinen Estland Roadtrip einbaute. Enttäuscht wurde ich dafür zu keiner Sekunde.
Früh am Morgen erreichte ich das Ortseingangsschild und erst am Abend war die Weiterfahrt geplant. Wer hätte gedacht, dass es zu keiner Sekunde langweilig werden sollte?
Bester Ausblick vom alten Wasserturm
Voller Tatendrang schlendere ich in Richtung Altstadt. Obwohl mir einige Ziele ans Herz gelegt wurden, folge ich zunächst allein dem eigenen Auge und erreiche schnell den Wasserturm. Die herrlichen estnischen Holzhäuser sind sowieso ein Highlight, doch seit der Renovierung ist auch das obere Teil des alten Wasserturms im landestypischen Holzlook.
Im Tausch gegen das größte Geldstück im Portmonee geht es den circa 30 Meter hohen Turm in engen Wendeltreppen hinauf. Gegenverkehr ist ungünstig.
Oben angekommen folgt eine kleine Geschichtsstunde zum vor wenigen Jahrzehnten restaurierten Turm sowie der Ausblick auf einige nette Kirchen, den in der Ferne liegenden Viljandi-See und die kleine Altstadt. Mit einem Lächeln verabschiede mich von der Turmwächterin, die unbemerkt einen halben Kilo Deo unter die Achseln verteilt. Herrlich authentisch!
Ruine der Ordensburg & Hängebrücke
Die beiden großen Kirchen haben heute offensichtlich Hochbetrieb, denn gefühlt finden locker drei oder vier Hochzeiten an diesem Samstagnachmittag statt. Wenig überrascht sieht man sich kurz darauf an der Ruine der Ordensburg Fellin (deutscher Name für Viljandi) erneut.
Eine bessere Kulisse für das Hochzeitsshooting lässt sich kaum finden. Die Steinmauern sind imposant und der kleine Park sowie die in Rot-Weiß angestrichene Hängebrücke passen gut in die Märchenkulisse.
Das berühmt-berüchtigte I-Tüpfelchen liefert der Ausblick auf den Viljandi-See, der sich einige Höhenmeter tiefer befindet und nach einer ausgiebigen Stärkung im Restaurant der letzte große Anlaufpunkt ist.
Bei einer Länge von über vier Kilometern wird es dort auch nicht zu voll, wenn wie im Sommer üblich das halbe Städtchen um Abkühlung bittet.
Viljandi Sehenswürdigkeiten im Überblick
- Alter Wasserturm (super Blick über die Altstadt)
- Ruine der Ordensburg Fellin
- Viljandi Suspension Bridge (Hängebrücke)
- Viljandi-See (Sport- und Badeparadies)
Naturparks in Estland
Drei große Nationalparks gibt es in Estland, die an verschiedensten Stellen des Landes liegen und daher je nach Wunsch in den Estland Roadtrip eingebaut werden können:
- Naturpark Lahemaa
Lahemaa bietet sich als Tagesausflug ab der Hauptstadt an. Zum Naturpark zählen Moorgebiete, Strände und Wälder.
- Naturpark Matsalu
Der Naturpark Matsalu befindet sich im Westen des Landes, unweit der großen Insel Saaremaa und ist der Lebensraum zahlreicher Vogelarten. Er erstreckt sich über die Bucht von Matsalu und schließt zahlreiche Inseln mit ein.
- Naturpark Soomaa
Ich habe mich für den Naturpark Soomaa entschieden, bei dem die Moorlandschaft im Vordergrund steht. Soomaa ist ein riesiges Gebiet, welches zu Moorwanderungen einlädt. Ein detaillierten Bericht zum Naturpark Soomaa mit Wanderrouten und vielen Hinweisen findest Du hinter dem Link.
Pärnu glänzt für drei Monate im Jahr
Trotz nur 50.000 Einwohnern darf Pärnu auf Deinem Estland Roadtrip als Zwischenstopp zumindest im Sommer keinesfalls fehlen. Die Sommerhauptstadt hat den wohl besten Strand des Landes und auch abseits des Badespaßes kommen sowohl Alleinreisende als auch Familien mit Kindern auf ihre Kosten.
Alle Infos zu einigen entspannten Tagen in Pärnu und Umgebung habe ich Dir zusammengetragen.
Insel Saaremaa
Irgendwie ist ein Estland Roadtrip erst mit Besuch einer der größeren Inseln vollständig. Leider ging sich ein Besuch der mehrfach von Einheimischen empfohlenen Insel Saaremaa bislang nicht aus. Doch aufgeschoben ist bekanntlich nicht aufgehoben.
Wenn Du Saaremaa bereits in Deinen Estland Roadtrip einbauen möchtest, sind hier bereits ein paar Empfehlungen, die mir von Einheimischen ausgesprochen wurden:
- Meteoritenkrater von Kaali
- Arensburg Kuressaare
- Windmühlen in Angla
- Vilsandi Nationalpark
Viel Spaß bei Deinem eigenen Estland-Roadtrip. Wenn Du hinterher noch weitere Highlights für mich und die Leser von Globushopper hast, dann schreibe gern einen Kommentar. Danke!
Und hier geht es weiter im Nachbarland: