Ungarn Groundhopping: Last-Minute ins Land der Neubauten & des Fanboykotts
Zu die Tür! Groundhopping in Ungarn scheint gestorben. Nein, nicht bis zum letzten Tag, doch während der Pandemie zählte der österreichische Nachbar bis Ende August zu den wenigen Konstanten.
Zuschauer sind in Ungarn beim Groundhopping ohne Einschränkung erlaubt und Abstandregeln existieren nicht. Doch dann kam der selbst von der EU kritisierte Alleingang der geschlossenen Grenzen, da Orban den Hauptgrund der gestiegenen Infektionszahlen den Touristen zuschrieb.
- Noch einmal Groundhopping, bevor Ungarn die Grenze schließt
- Neue Stadien wohin das Auge reicht
- Stadionperlen in Ungarn – wo sich Groundhopping richtig lohnt
- Fanboykott in Ungarn: Vergangene Friedhofsstimmung bei Ferencvaros & Ujpest
- Die große Vergangenheit von Ungarns Nationalmannschaft
- Budafoki: ausverkaufte Fußballspiele während Corona
- Ungarn Groundhopping – Infos im Überblick
- Fußballreisen aus aller Welt:
Spontanität rockt und so ging es am letztmöglichen Wochenende noch einmal in den Süden. Dieser Artikel nimmt Dich mit auf die vorerst letzte Kurzreise nach Ungarn und liefert für Groundhopping-Trips in die einstige fußballerische Weltmacht zahlreiche Infos.
Warum überboten sich die Fanszenen von Fradi und Ujpest in den letzten Jahren gefühlt mit Boykottaufrufen? Welche alten Stadien haben den Neubau-Wahn der Ungarn überlebt und warum stoßen die Magyaren abends in der Kneipe eigentlich mit der ungarischen Umschreibung für das Resultat „6:3“ an?
Noch einmal Groundhopping, bevor Ungarn die Grenze schließt
Freitagabend, 17:29 Uhr: Ich ziehe mir mein Schlauchtuch ins Gesicht, als wäre ein Banküberfall oder zumindest eine Pyroshow geplant. Die Realität ist der Besuch eines Baumarkts und der Kauf des neuen Bodenbelags für das Gartendomizil. Die geplante Samstagsbeschäftigung sollte aber schnell durchkreuzt werden.
17:33 Uhr: Mit den Worten „So viel zu Ungarn“ schickt mir ein Kumpel einen Screenshot mit dem Beschluss des Landes, die Grenzen ab dem kommenden Dienstagmorgen für Deutsche geschlossen zu halten.
17:35 Uhr: Einige Schimpfworte später kommt der Gedanke, die eigene Spontanität mal wieder herauszufordern und kurz nach dem Groundhopping-Trip nach Estland Budapest anschließen zu lassen.
17:37 Uhr: Die bessere Hälfte nickt das kurz im Inneren durchgespielte Szenario ab, noch über Nacht im Bus nach Budapest zu sitzen. Danke, Schatz!
18:12 Uhr: Zurück in den heimischen vier Wänden wird der Direktbus Dresden → Budpest gebucht.
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19:35 Uhr: Abendessen verschlungen, Tasche gepackt – auf gen Dresden. Übernachtungsbuchungen und ähnliche Basisaufgaben werden in den Nachtbus verlagert.
Samstagmorgen, 06:02 Uhr: Erste Gebäude Budapests sind in der Ferne zu erkennen.
07:26 Uhr: Eine U-Bahn-Fahrt und manch erklommener Höhenmeter später brutzelt mir die Sonne ins Gesicht, während ich es mir auf der Fischereibastei gemütlich mache.
Im Gegensatz zum letzten Besuch im Oktober 2019 ist der Ort menschenleer und damit noch paradiesischer. In der Ferne thront der Präsidentenpalast, das Wasser strömt die Donau hinab.
Und plötzlich sehe ich mich wieder im Baumarkt und bin dankbar dafür, heute keinen Bodenbelag im Gartenhaus zu verlegen.
Kennst Du das Gefühl des puren Reiseglücks? Meist überkommt mich dieses Feeling in Situationen, in denen ich gar nicht damit gerechnet habe. Beispielsweise bei einem einfachen Frühstück in Lviv, schmackhaftem Bier in Bishkek oder sogar daheim beim Rückblick auf die jüngste Reise.
Heute ist mal wieder einer dieser Tage, an denen die Dankbarkeit trotz der bedrohten Reisefreiheit besonders nah ans Herz geht. Vielleicht wegen Corona oder der spontanen Planung.
Letztendlich gewiss aber auch wegen der Schönheit von Budapest. Sein wir ehrlich, die Stadt ist wesentlich eindrucksvoller als die zahlreichen Stadion-Neubauten, die man in Ungarn beim Groundhopping ertragen muss.
Neue Stadien wohin das Auge reicht
Du glaubst, der Neubau-Wahn bezüglich der Stadien in Deutschland ist bereits schlimm? Ok, dann bist Du wohl ein Greenhorn unter den Groundhoppern. Schließlich reicht der Blick nach Polen, um zu sehen, wie gnadenlos jedes alte Stadion der Ekstraklasa durch einen modernen Kasten ersetzt wird beziehungsweise wurde.
Ungarn setzt der schmerzhaften Entwicklung die Krone auf, denn nirgendwo sind derart viele und vor allem unnnötige neue Stadien entstanden, wie südöstlich von Wien.
Schuld daran sind die Subventionen des Staates, die derart lukrativ ausfallen, dass es von den Vereinen fahrlässig wäre, die sich bietende Chance nicht beim Schopfe zu packen.
Schmerzhafter Stadionabriss bei Vasas & MTK
Ein wenig verrückt erscheint es allerdings, dass selbst in tieferen Ligen immer wieder Tribünen teils ersatzlos verschwinden, was der Reisebegleitung und meiner Wenigkeit bereits 2019 die gute Laune verhagelte.
Den wohl größten Schmerz entfachen die neuen Stadien in Budapest von MTK und Zweitligist Vasas. Das Illovszky Rudolf Stadion wurde 2017 abgerissen und für circa 22 Millionen Euro ein Einheitsbau hingesetzt, in den gerade einmal 5.054 Zuschauer passen.
Auch die alte Schüssel des zweiterfolgreichsten ungarischen Vereins fiel Neubauplänen zum Opfer. Der jüdische Club MTK spielt nun (wie übrigens aktuell auch Honved) im Hidegkuti-Nandor-Stadion – vor maximal 5.014 Zuschauern. Beide Vorgängerstadien hatten Kapazitäten um 15.000.
Paksi FC treibt das Stadionbau-Spielchen auf die Spitze
Das jüngste Opfer: Paksi FC. Ich erinnere mich gern zurück an den Tag, als ich dort vor gefühlt knapp einem Jahrzehnt den Länderpunkt Ungarn an einem verregneten Freitagabend bei der Anreise zum Belgradderby machte.
Die Heimspielstätte war damals vielleicht kein Knaller, doch die Haupttribüne durchaus schick und die Sitzreihen (zugegebenermaßen auf Stahlrohr) zumindest modern genug, um in einer Stadt mit 20.000 Einwohnern locker den Zweck zu erfüllen. Ergänzt wurde das Stadion des kleinen Clubs, der hin und wieder zum Spielverderber der Budapester Vereine avanciert, mit einer ranzig und damit wundervollen Anzeigetafel.
Und heute führt mich der Weg erneut nach Paks, in ein Städtchen, in dem man sich bemühen muss, bei um 19:00 Uhr bereits hochgeklappten Bordsteinen zumindest noch eine Pizza oder sonstiges Fast Food zwischen die Zähne zu bekommen.
Atomic Strike in gewohnter Mannstärke
22:15 Uhr endete das Trauerspiel bei Paksi FC vs. Mezökövesd-Zsory SE. Keine 1.000 Zuschauer waren beim zweiten Heimspiel nach der Neueröffnung des Stadions anwesend. Die Friedhofsstimmung im seelenlosen Neubau versucht man mit am Eingang ausgegebenen Leuchtstäben zu übertünchen.
Einzige Konstante: die kleine Gruppe Atomic Strike gibt es unverändert, auch wenn deren Fahne nun gewöhnlich am Zaun und nicht mehr mit Spezialhalterung vier Meter über den Köpfen hängt. Paks lieferte das Paradebeispiel für unnötige neue Stadien. Doch gibt es zumindest eine Ausnahme in Ungarn, wenngleich sich an der Umschreibung „unnötig“ wenig ändert…
Pancho Arena – das Orban-Projekt in Felcsút
Eine Besonderheit unter den neuen Stadien in Ungarn stellt die Pancho Arena dar, die Spielwiese von Victor Orban. Für ein Stadion mit Kapazität unter 4.000 Plätzen wurden über 12 Millionen Euro ausgegeben. Im Gegensatz zu den Arenen von Paks oder Vasas wurde in Felcsút allerdings ein echter Blickfang generiert.
Die Holzbalken der Dachkonstruktion in Kombination mit passenden Lichteffekten lässt die Spieler gefühlt in einem prunkvollen Saal kicken. Mit etwas Fantasie ergeben sich Formen, die an mehrarmige Leuchter erinnern. Auch von Außen ist das Stadion unverwechselbar und damit wohl einer der abenteuerlichsten Neubauten – nicht nur in Ungarn.
Stadionperlen in Ungarn – wo sich Groundhopping richtig lohnt
Wer wie ich sein Herz eher an zerfallene Stadien verliert, welche eine jahrzehntelange Geschichte erzählen, der hat in Ungarn beim Groundhopping noch einige (wenige) Optionen. Die zwei nachfolgend vorgestellten Stadien haben es dafür in sich!
BKV Elöre im Sport utcai Stadion
Wer einmal bei MTK im Stadion war, hat nicht selten auch den Ground des BKV Elöre SC. Dafür gibt es gleich zwei Gründe. Einerseits liegen die Stadien keine 50 Meter Luftlinie auseinander. Andererseits ließen sich die Vereine in der Vergangenheit oft so terminieren, dass der Doppler gemütlich zu Fuß zu realisieren war.
Inzwischen ist der Besuch des Sport utcai Stadions trotz der Amateurliga fast vorzuziehen, denn die überdimensionierte Holztribüne des BKV Elöre ist beeindruckend.
Beim jüngsten Trip in Ungarns Hauptstadt habe ich mich mit einem Kumpel entspannt in das Pub unterhalb der Tribüne gehockt, manch Bier den Rachen hinuntergespült und einfach nur den Charme dieses Ortes genossen.
Béke téri Stadion des Csepel FC
Ein weiter Top-Ground in Budapest – allerdings einige Kilometer abseits des Zentrums – befindet sich im Stadtteil Csepel und stand am Sonntagmorgen meines kleinen Wochenentrips an. Der heimische Csepel FC spielt selten vor prächtiger Kulisse, doch das Stadion rechtfertigt den Besuch zweifelsfrei.
Langsam kämpfen sich die Gräser durch den dicken Beton der zahlreichen Stehplatzstufen. Die Uhr an der riesigen Anzeigetafel früherer Jahrzehnte hat den Dienst bereits quittiert. Highlight aber ist die Haupttribüne, auf welcher die Worte „Csepel Stadion“ aufgrund der Witterung langsam verblassen.
Kurz nach dem 2. Weltkrieg waren hier bei Csepel gegen Ferencvaros 35.000 Zuschauer im weiten Rund. Möglicherweise muss man sagen, dass dem zum Glück nicht mehr so ist, denn dann hätte auch der Csepel FC sich längst dank der Subventionen ein neues Stadion an gleichen Fleck zimmern lassen.
Fanboykott in Ungarn: Vergangene Friedhofsstimmung bei Ferencvaros & Ujpest
Die einst herausragenden Kurven des Landes sind klein geworden. Ausgerechnet die besten Fanszenen des Landes, die verfeindeten Lager von Fradi und Ujpest, boykottierten zudem in der Vergangenheit zahlreiche Partien aus unterschiedlichsten Gründen.
Venenscanner & Fingerabdrücke – Sicherheitstrakt Groupama Arena
Allen Grund dazu hatten die Fans von Ferencvaros, da die neue Groupama Arena zugleich die vielleicht größte Sicherheitsschleuse im Fußball integriert bekam. Wer einmal das Stadionerlebnis bei Fradi genießen möchte, braucht die Fancard des Vereins und muss sich außerdem die Venen scannen lassen.
Schwarzmarkt chancenlos! Nur der gläserne Mensch ist bei den Grün-Weißen erwünscht. Bei jedem Stadioneintritt werden Fancard und Venen gescannt. Zustände, welche die Green Monsters selbstverständlich nicht akzeptierten und mit Fertigstellung der Arena alle Partien boykottierten.
Erst 2017 kehrte die Szene zurück ins Stadion, nachdem die Venenscanner vor der Fankurve abgebaut worden und bei der Beantragung der Fancard Fingerabdrücke nicht mehr verpflichtend waren.
Ujpest FC im Logo-Streit
Im Vergleich zu den Problemen bei Ferencvaros, die beispielsweise noch um die Plastikkarte als Bezahlsystem im Stadion erweiterbar wären, wirken die Boykottgründe bei Ujpest weniger hart.
Ein neues Logo ist schuld daran, dass die Violett-Weißen im Stadion länger nicht die Stimme erhoben. Im Derby bei Fradi im Vorjahr erblickte nur eine kleine Blockfahne das Licht der Welt, auf welcher eine Faust das neue (eigene!) Vereinslogo zerstörte – Bilder, die man eigentlich von der gegnerischen Fanseite erwarten würde.
Schlussendlich ist die Liebe für Traditionen natürlich sympathisch. Da inzwischen ein Logo existiert, welches das neue Exemplar mit dem früheren Logo vereint, geht die Szene wieder zu den Spielen. Zusätzlich sollte die Stimmung befeuern, dass Ujpest nach einigen Platzproblemen 2020/21 wieder in das heimische Szusza Ferenc Stadion zurückkehrte.
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Die große Vergangenheit von Ungarns Nationalmannschaft
Wohin ist nur der große Name des Landes in Sachen Fußball? Ungarns Nationalmannschaft demonstriert, wie die Entwicklung des Fußballs in dem kleinen Land aussieht. 1938 und 1954 stand die Nation im WM-Endspiel. Beim Wunder von Bern reichte die haushohe Favoritenrolle nicht. Seit 1986 qualifizierte sich Ungarns Nationalmannschaft nicht mehr für eine WM-Endrunde.
Der Stolz der Ungarn ist aber geblieben. Beispielsweise auf Ferenc Puskás (in Ungarn spricht man übrigens stets den Nachnamen zuerst aus – korrekt ist also Puskás Ferenc), den großen Star der Nation.
Und natürlich an das 6:3 im Wembley 1953 gegen England, dem vielleicht besten Fußballspiel des 20. Jahrhunderts – so erzählt man es sich zumindest in Ungarn.
Dieses Resultat ist es auch, welches sich bis heute in den Pubs des Landes verbreitet, denn statt „Cheers“ oder „Zum Wohle“ äußert man beim Anstoßen in Ungarn die ungarische Umschreibung für das Resultat 6 zu 3.
Budafoki: ausverkaufte Fußballspiele während Corona
Zurück ins 21. Jahrhundert! Zum Abschluss des Kurzausflugs sollte noch das Heimspiel von Budafoki gegen Fehervar auf dem Programm stehen. Blöd nur, dass beim Aufsteiger im kleinen Stadion eine Menge Euphorie besteht.
Ausverkauft war die Hütte schon, als ich mich am Freitagabend für die Tour entschied und vor Ort hieß es, dass die anvisierten Presseränge ebenfalls bereits zu 100 Prozent vergeben seien. Offensichtlich zählte der Pressechef nochmal nach und fand ein weiteres Freikärtchen, Merci!
10-facher Schwarzmarktpreis beim Aufsteiger
Im Stadion erfuhr ich von zuvor im Pub kennengelernten Ungarn, dass auf dem Schwarzmarkt circa 12.000 Forint und damit rund der 10-fache Ticketpreis gezahlt wurde. Eine feste Szene hat Budafoki nicht, stattdessen sitzt hier der Ujpest-Anhänger neben dem Fradi-Fan. Eine flotte Sohle aufs Parkett legte der Gästemob, der die eigene Elf zum verdienten 4:1-Auswärtssieg führte.
Beschwerliche Heimreise…
Und damit waren die letzten Momente schon wieder gekommen und auch der Groundhopping-Reisebericht über Ungarn kommt zum Schluss. Noch ein letzter Blick auf Budapest bei Nacht (dicke Empfehlung, fast alle relevanten Gebäude werden angestrahlt), dann ging es zum Bus.
Mit etwas Verspätung circa 9 Stunden später saß ich in Dresden im Auto und kurz darauf am Arbeitsplatz. Hoppen muss weh tun!
Ungarn Groundhopping – Infos im Überblick
- Fancard nötig? Im Regelfall nicht, Ausnahme ist Ferencvaros
- Eintrittspreise: 1.000 bis 2.500 Forint (3 bis 7 Euro)
- Vereine mit den besten Fanszenen: Ferencvaros, Ujpest, Debrecen, Diosgyör, Fehervar
- schönste alte Stadien: Sport utcai Stadion (BKV Elöre), Béke téri Stadion (Csepel FC, Ujpest II teilweise)
- interessanteste Neubauten: Pancho Arena (Puskás Ferenc Labdarugó Akadémia), Groupama Aréna (Ferencvaros), Nationalstadion (Puskás Aréna)
- Ausweichende Vereine in Liga 1: Honved spielt 2020/21 bei MTK
- Spielansetzungen sind leicht über die Website des ungarischen Verbands zu finden.
Noch nicht genug gelesen? Alle Groundhopping-Berichte in der Übersicht findest Du im Link!